Landesrecht kann mehr
Texte in juristischen Fachzeitschriften gehören eher selten zum Lesestoff nach dem man sich sehnt. Im Fall des Aufsatzes des Juristen Peter Weber ist das anders. Nicht das man Lust hätte seinen Artikel selbst zu lesen. Das ist wie bei Fachpublikationen üblich nicht kostenlos zu haben und meist auch noch juristisches Fachchinesisch.
Was der Titel verspricht, möchte man aber doch gerne wissen. „Mittel und Wege landesrechtlichen Mietpreisrechts in angespannten Wohnungsmärkten“ lautet der.
Es ist ein Beitrag zur Versachlichung der Debatte wo sich Politik mit Lösungen beschäftigt. Oder anders gesagt: Falls sich Politik nach unseren tatsächlichen und möglichen Rechtsgrundlagen erkundigt, statt fortgesetzt die informellen Gesetze des Marktes zum Ukas zu machen. Die Frage welche eigenen rechtssicheren Gestaltungsmöglichkeiten Bundesländer, Städte, Kommunen mit ihren demokratisch gewählten Institutionen haben, um die Versorgung mit angemessenen und bezahlbaren Wohnraum sicher zu stellen ist von grosser Bedeutung. Sie klärt ob die Politik, ob durch Parteien, ob im Parlament durchgreifender gehandelt werden kann. In seinem Fachaufsatz untermauert Peter Weber landesrechtliche Grundlagen die dies bejahen.
Andrej Holm hat für seinen Blog den Artikel von Peter Weber gelesen und gibt einen guten und verständlichen Einblick in seine Bedeutung. Das die in der Rot-Rot-Grünen Landesregierung offenbar unstrittig ist, konnte man dieser Tage der Presse entnehmen.
Das ist eine gute Nachricht. Denn Wohnungspolitik braucht Konsens und langen Atem. Für mehr als bloss fünf Jahre.
Hier geht’s zum Artikel von Andrej Holm.
Rico Prauss Wahlkreismitarbeiter
Tagung in die Nacht
Wahrscheinlich ist die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) jener institutionalisierte politische Bereich, an dem in Berlin lebende Menschen am besten festmachen können, ob und wie parlamentarisch ausgehandelte Beschlüsse und Vorgehensweisen in ihrem Interesse sind oder nicht. Was hier verhandelt wird, betrifft sie unmittelbar – egal, ob es der Umgang mit bepflanzten Baumscheiben vor ihrer Haustür ist oder um den Einsatz der Mittel aus SIWANA (Sondervermögen Infrastruktur der Wachsenden Stadt und Nachhaltigkeitsfonds) geht.
Die Tagesordnungen lesen sich sowohl kleinteilig, als auch großartig, sie sind unendlich lang und beinhalten das Fortbestehen oder Verschwinden kleinster Freiflächen ebenso, wie die Fällung eines Baumes, die ewige Verweildauer von Baustellenampeln, die fehlende Beleuchtung in Grünanlagen, die Arbeit von Verwaltungen, den Umgang mit wohnungslosen Menschen. Das vermeintlich Große und das wahrscheinlich nicht Kleine, aufgelistet auf gelben Blättern, versehen mit Drucksachennummern und als Tagesordnungspunkt (TOP) vermerkt. Für Außenstehende klingt so mancher TOP kryptisch oder wenigstens ein bisschen geheimnisvoll. Was hat es mit dem Wasser im Diesterweg-Gymnasium auf sich, was sind Sonderkorridore bei Jobcenter-Terminen, was eine Spielplatzablöse und warum kümmern sich die Piraten um den Taxistand am Alexa? Wer hat sich die schöne Drucksachenüberschrift „Ein Zaun macht den Magdeburger Platz noch nicht lebenswert!“ ausgedacht und könnte das Anlass sein, darüber zu diskutieren, ob Zäune überhaupt irgendwo einen Ort lebenswerter machen?
Wem ist die fast lyrische Zeile „Wenn Investorenträume in den Himmel wachsen – Checkpoint Charlie muss geerdet werden“ eingefallen, und wie gesetzt klingt dagegen der TOP „Beschluss über die Durchführung der frühzeitigen Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung gemäß §3 Abs.1 1BauGB für den noch aufzustellenden Bebauungsplan 1-105 für das Areal des ehemaligen Hauses der Statistik“? Es geht hier nicht um einen Bericht von der BVV, der kann zum Beispiel hier nachgelesen werden, auf der Seite der Linksfraktion. Eine vernünftige und gute Art, die Öffentlichkeit zu informieren, der Bericht ist so schnell online, dass davon auszugehen ist, jemand macht sich schon während der Sitzung die Arbeit, das alles zu sortieren und zu übersetzen und aufzuschreiben.
Lohnte es sich, mal zu einer BVV zu gehen, oder wenigstens, sich den Live-Stream anzuschauen den die BVV Berlin-Mitte anbietet? Nutzen eigentlich ausreichend Menschen die Möglichkeit, eine Einwohneranfrage zu stellen?
Bei der ersten BVV im neuen Jahr (die BVV findet immer an einem Donnerstag statt und beginnt 17.30 Uhr im Bezirksamt Mitte in der Karl-Marx-Allee 31) stellen drei Bürger*innen ihre Fragen. Die sind vorher eingereicht worden. Nicht der Kontrolle wegen, sondern damit sich die Leute vom Bezirksamt, die zuständigen Stadträte oder -innen oder der Bürgermeister, vorbereiten können. Drei klingt wenig für einen solch großen Bezirk, in dem 379.610 Menschen leben (Stand Juni 2018). Aber für mehr wird auch gar nicht Zeit sein, die Tagesordnung der BVV verspricht, dass es wohl später als 22 Uhr sein wird, bis man zu einem Ende kommt.
Ein Mann fragt und beklagt zugleich, dass es weiterhin so gut wie nicht möglich ist, einen Termin für die Anmeldung einer Eheschließung (mit ausländischer Beteiligung, was es noch komplizierter macht in der deutschen Bürokratie) beim zuständigen Standesamt zu bekommen. Die Webseite des Standesamtes Berlin-Mitte liest sich nicht schön. Zu oft kommt das Wort leider vor. Geht gerade nicht, keine Kapazitäten, zu wenig Personal, folgende Sprechstunden können bis auf weiteres nicht….
Tatsächlich fällt die Antwort auf die Bürgerfrage ehrlich, aber unbefriedigend aus. Am Ende wird der freundliche Mann gebeten, so oft es irgend geht, ins Internet auf die Seite für Online-Termine zu schauen und sofort zuzugreifen, wenn sich da ein Fensterchen öffnet. Natürlich denkt man, das kann ja nicht Sinn der Sache sein, wo uns doch immer versprochen wird, dass die ganze Digitalisierung alles viel einfacher machen wird. Es hat auch nichts mit der Digitalisierung zu tun, fühlt sich aber so an. Berlinweit fehlen 33 Stellen auf/in den Standesämtern, in Mitte drei. Geburten und Sterbefälle haben Vorrang. Es fällt in der BVV bei der Antwort das Wortungetüm „im Kontext der Anwendung von Eheschließungen“, aber manchmal, wenn man so gar nichts Gutes zu vermelden hat, ist die Flucht in Verwaltungssprache auch nachvollziehbar. „Wir bitten um Ihr Verständnis“, steht auf der Webseite, eine Bitte, auf die eigentlich die Deutsche Bahn das größte Anrecht hat. Hört man sie auf dem Bahnsteig durch die Lautsprecher schallen, bleibt einem gar nichts anderes übrig, als sich dreinzuschicken, was noch meilenweit entfernt von Verständnis ist. Wieso kriegen die das nicht hin? Die Frage ist zumindest berechtigt. Wenn Heiraten zum Hürdenlauf wird, könnte einem glatt die Lust vergehen.
Eine Einwohneranfrage kann jede und jeder stellen. Geht online und zwar viel einfacher, als einen Termin beim Standesamt zu bekommen. Drei Fragen, die thematisch zusammengehören müssen, jede nicht mehr als 700 Zeichen lang. Gar nicht einfach, wenn der Sachverhalt kompliziert ist.
TOP 5, die Konsenslisten. Alles Angelegenheiten, die vorher in einem sicher manchmal mühevollen Prozess so lange ausgehandelt wurden, bis man sich mehrheitlich einig war. Ziemlich lang, so eine Konsensliste und wer sich als Zuhörende in die BVV setzt oder den Livestream anschaut, müsste sich die Mühe machen, all die genannten Drucksachen noch einmal im Internet nachzuschlagen, um daraus Schlussfolgerungen ziehen zu können, bei welchen Themen sich die BVV bereits durch die Arbeit in den Ausschüssen und andere Formen der Absprache und Diskussion einig geworden ist. Überhaupt Ausschussarbeit, das ist ja das eigentliche Tun. In die Ausschüsse wird alles verwiesen, was zuerst der fachlichen Beurteilung und einer Empfehlung an die BVV bedarf, wie man die Drucksache in der Abstimmung behandeln soll. 55 Verordnete hat die BVV, 15 Ausschüsse arbeiten aktuell. Den Fraktionen stehen entsprechend ihrer Größe unterschiedlich viele Plätze in den Ausschüssen zu. Heißt, jeder und jede arbeitet in drei Ausschüssen.
Nach den Konsenslisten kommt die Thematische Stunde – alles zeitlich in ein enges Korsett gepresst, anders geht es nicht. Wenn ein Thema zu lange braucht, um erörtert zu werden, fällt das andere weg.
Dann werden die mündlichen Anfragen der Fraktionen behandelt, die von den zuständigen Stadträt*innen oder dem Bezirksbürgermeister beantwortet werden. Es folgen Dringlichkeitsanfragen, Große Anfragen, Dringlichkeitsanträge, Anträge.
Jede Frage, jede Antwort, jeder Redebeitrag beginnt mit einer recht standardisierten Begrüßungsformel. Sehr geehrte… und so weiter. Das wirkt formalisiert, auf der anderen Seite erweckt genau diese Formalie den Eindruck, dass bei allen – teilweise fundamentalen Auseinandersetzungen – der gegenseitige Respekt nicht fehlt. In Zeiten, da Mails mit der Begrüßungsformel „Hallo“ beginnen, ist das gar nicht so gering zu schätzen.
Es gibt immer Momente, in denen sich die Frage stellt, ob ein Antrag, der in sich logisch und nachvollziehbar klingt, tatsächlich noch mal die Runde durch die Ausschüsse machen muss, bevor er abgestimmt wird. Bei dieser ersten Sitzung der BVV im neuen Jahr konnte der Eindruck entstehen, als der Antrag der Linksfraktion „Gemeinsam handeln – für einen menschenwürdigen Umgang mit obdachlosen Menschen“ (Drucksache 1679/V) in den Ausschuss für Gesundheit und Soziales überwiesen wurde. Das Bezirksamt sei aufgefordert, heißt es im Antrag, beim Umgang mit obdachlosen und Obdachlosencamps zu gewährleisten, dass jederzeit die Würde obdachloser Menschen gewahrt bleibt, in schwierigen Situationen mit Augenmaß gehandelt und das Eigentum der Betroffenen gesichert wird. Mögliche Räumungen seien, soweit sie auch im Interesse der Betroffenen unvermeidlich sind, rechtzeitig anzukündigen und gemeinsam mit Sozialarbeiter*innen und Betroffenen ist nach geeigneten Angeboten und Unterkünften zu suchen, die in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen müssen. Dass an dieser Stelle – in der Diskussion ging es um ein Video, in dem zu sehen war, wie eine obdachlose Frau von der Polizei gefesselt und ihr Kopf mit einem Tuch verhüllt wird – der Bezirksbürgermeister mit den Worten parierte, „Müll sei kein Eigentum“, klingt als Haltung nicht tragbar. Mag sein, dass wir die mit großen und prall gefüllten Plastiktüten umherwandernden Wohnungslosen als Menschen ohne Eigentum sehen, sie selbst betrachten das, was sie mit sich herumtragen als ihre einzigen Habseligkeiten. Unser Maßstab für Dinge, die es wert sind, sie zu behalten, kann nicht das Kriterium sein. Was Müll ist, liegt im Auge des Betrachters, in der Politik allerdings wäre es gut, sich zu einer Betrachtungsweise durchzuringen, die zum Maßstab macht, was dem jeweiligen Menschen so viel bedeutet, dass er oder sie es bei sich trägt und nicht verlieren möchte.
Kathrin Gerlof
Hier findet sich die Vorhaben-Liste des Bezirksamtes Mitte
Aller Anfang ist leicht
Sprichwörter müssen ja nicht immer stimmen, zumindest in der digitalen Welt verlieren so manche ihre Gültigkeit. Einen Blog anzufangen ist vergleichsweise und heutzutage eine einfache Übung und somit ein leichter Anfang. Die Schwierigkeit besteht eher im Durchhaltevermögen und darin, den vermeintlich unendlich großen Platz nicht mit Sinn- und Belanglosigkeiten zu füllen.
Wir wollen uns mühen.
Wir meint zuerst einmal Kathrin Gerlof und Rico Prauss, die beide für die Vorsitzende der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, Carola Bluhm, Wahlkreisarbeit machen. Damit ist zumindest eine nicht unwichtige Grundlage für einen Blog gelegt: Wir kommen rum, reden mit Leuten, befassen uns mit Themen, die im Wahlkreis 2 Berlin-Mitte relevant sind und stellen immer wieder fest, dass sich im realen Leben die Grenzen von Wahlkreisen nur bedingt dafür eignen, über eine Stadt und deren Menschen zu schreiben. Also werden wir uns nicht nur in Mitte bewegen. Uns gehört die Stadt ja auch.
Der Wahlkreis 2 umfasst den südlichen Teil des einstigen Ortsteils Mitte, dazu gehören Alexanderplatz, Engelbecken, Heinrich-Heine-Viertel, Scheunenviertel, die Museumsinsel und das Gebiet Unter den Linden, Friedrichstraße, Leipziger Straße, Potsdamer Platz. Wahrscheinlich ist es der meistbesuchte Wahlkreis in Berlin, schließlich ist die Dichte der Sehenswürdigkeit nirgends sonst so groß, findet man kaum woanders auf so engem Raum derartig viele Zeugnisse verschiedener historischer Epochen. Das hat seine guten und seine anstrengenden Seiten.
Mitte ist in jeder Hinsicht ein begehrter Ort, demzufolge gibt es auch viele sehr unterschiedliche und oft konträre Interessen. Es gibt wahnsinnig laute Straßen, irrwitzig viel Verkehr, erstaunlich ruhige und grüne Oasen, Plätze, die wie die Vorlage für eine vielteilige Serie über soziale Zerrissenheit, das Nebeneinander von Konsumtempeln und Schlafplätzen für Wohnungslose wirken. Wer über den Alexanderplatz läuft hat das ganze pralle und nicht immer schöne Leben im Schnelldurchlauf gesehen. Zwischen der Lebensmittelabteilung bei Kaufhof und den Schlafplätzen Wohnungsloser neben der Kneipe „Besenkammer“ liegen wahrlich Welten – von einer in die andere braucht man zwei Minuten.
An manchen Orten, wie dem Haus der Statistik, das wahlweise wie ein großes Versäumnis oder ein grandioses Versprechen aussehen kann, wird mit viel und notwendigem Aufwand versucht, verschiedene Interessen und Vorstellungen zu einem Gesamtkonzept zu bündeln. Und wenn sich die Stadt, die zugleich Bundesland ist, darauf einigt, einem ganzen Ensemble die notwendige Aufmerksamkeit zu schenken, um es in seiner historischen und gegenwärtigen Bedeutung und – ja, Schönheit – zu erhalten und weiterzuentwickeln, entstehen Pläne und Konzepte, wie die für die Karl-Marx-Allee, Bauabschnitt II zwischen Strausberger Platz und Alexanderplatz. Solche Quartiere sind dann auch ein gutes Beispiel dafür, wie sich aus Nachbarschaften organisierte Initiativen entwickeln. Aus dem Nachbarschaftsrat wurde ein Verein, der sich in die Debatten einbringt.
Oft geraten solche ehrenamtlichen Initiativen an die Grenzen des Machbaren, denn Teilhabe bedeutet, Zeit zu geben. Viel Zeit, was manchmal überfordert, denn Aushandlungsprozesse wie die um das Haus der Statistik oder die Karl-Marx-Allee sind sehr mühevolle und oft kleinteilige Arbeit. Und sich mal so nebenher eine Expertise in den nicht selten sehr schwierigen Prozessen zu erarbeiten, ist kein Pappenstiel.
In Mitte 2 gibt es Orte, die scheinen für ewig und immer verloren für städtisches und bürgerschaftliches Handeln. Das Café Moskau spricht davon, das einstige Babette in einem der Pavillons, das inzwischen Geschichte ist, das Haus der Gesundheit, das seinem Namen nur noch bedingt gerecht wird und dessen Niedergang die medizinische Versorgung im Quartier rund um die Karl-Marx-Allee für viele Menschen verschlechtert hat. Hier ist ein langer Kampf geführt worden und am Ende hat dann doch das Geld regiert, hatte die Landes- und Bezirkspolitik zu wenig Spielraum oder musste sich mit Versäumnissen vergangener Zeiten arrangieren, weil verpasste Gelegenheiten halt nicht wiederkommen. Oft jedenfalls.
Was wir mit diesem Blog wollen, ist, regelmäßig und häufiger als hin und wieder, über solche Geschichten und Entwicklungen schreiben. Keine langen Elogen – deshalb ist an dieser Stelle auch erst einmal Schluss – stattdessen kleine Puzzleteile, die sich nach und nach hoffentlich zu einem Bild fügen.
Mal schauen, wie weit wir damit kommen. Der Anfang ist ja, wie gesagt, ziemlich einfach. Erst die Strecke wird Arbeit.
Kathrin Gerlof und Rico Prauss /Wahlkreismitarbeiter
Böller – verbieten oder lassen?
Berlin ist auch Silvester die Hauptstadt der Superlative. Liegt jetzt schon ein paar Tage zurück, aber wahlweise denken die Menschen mit Grausen oder Vergnügen an die nächtliche Knallorgie, mit der am 31. Dezember das alte Jahr in den Orkus der Geschichte geschickt und das neue Jahr begrüßt wird. Im Vorfeld wurde in der Koalition über ein Verbot diskutiert.Die Medien berichteten darüber, für 2018 allerdings kam die Diskussion zu spät. Schade, sagen die einen – schließlich ist es mit Silvester, wie mit Weihnachten: Man weiß einfach, dass es jedes Jahr stattfindet. Zum Glück, seufzen die anderen, schließlich wäre es doch bedauerlich, verböte man uns das Vergnügen und ist es nicht unsere individuelle Freiheit und Entscheidung, es zu tun oder zu lassen?
Ganz einfach ist es tatsächlich nicht mit den Eingriffen in solche Privatvergnügen, denen allerdings in diesem Fall vor allem im öffentlichen Raum nachgegangen wird und das nicht selten ohne Rücksicht auf Verluste. Stundenlang ist es laut, am nächsten Morgen sieht die Stadt aus, wie eine Müllkippe, Jahr für Jahr gibt es Verletzte. Gegenüber meines Hauses befindet sich in der kleinen Straße hoch zum Park Friedrichshain ein Altenheim. Und jedes Jahr frage ich mich, wie es den Menschen in dem Pflegeheim wohl gehen mag, wenn vor ihrer Tür eine Geräuschkulisse herrscht, die den einen und die andere von ihnen möglicherweise an schlimmste Zeiten erinnert. Meine syrischen Nachbarn sagen, sie mögen es nicht und finden es auch beängstigend, haben sich aber inzwischen daran gewöhnt und wissen ja, dass Berlin nicht Damaskus ist.
Trotzdem ist die Frage in Zeiten, da wir andauernd und aus guten Gründen über Feinstaubbelastung reden, zumindest gerechtfertigt, ob ein Eingriff in das Recht auf Knallerei nicht doch gerechtfertigt wäre. Zumal andere Städte es vormachen und das Abendland darob offensichtlich nicht untergegangen ist. In Hannover gibt es ein besonders strenges Böllerverbot in der Innenstadt, in Düsseldorf wird der Verkauf auf wenige Tage beschränkt und darf in der Altstadt nicht geknallt werden, in Dortmund gilt das Verbot rund um den Hauptbahnhof und an einigen sehr belebten Plätzen, Bremen hat ein rechtes strenges Verbot und das bereits seit 2010, Göttingen hat die komplette Innenstadt für Böllerei zur Tabuzone erklärt. Offensichtlich verlassen die Menschen aufgrund dieser Verbote nicht massenhaft die Städte, um sich woanders niederzulassen.
Nun ist und gilt Berlin allerdings als die Metropole und ein Verbot in der Hauptstadt ist immer gut zu bedenken. Könnte eine gute Signalwirkung haben oder als spießig gelten. Spießig will hier niemand nimmer sein. Aber in Paris, Rom und Wien darf privat nicht geböllert werden und ob diese Städte deshalb gleich spießig sind, bleibt dahingestellt. Kann und sollte jede und jeder für sich entscheiden.
Ich kenne wahrscheinlich genauso viele Menschen, die es inzwischen vorziehen, Berlin zu Silvester der Böllerei wegen zu verlassen, wie ich Menschen kenne, die es genau wegen des Wahnsinns-Feuerwerks, das hier allenthalben und überall stattfindet, herzieht. Was erst einmal nur heißt: Egal, wie die Politik entscheidet, es wird Unzufriedene geben. Demzufolge wäre es gut, sich ausschließlich an die sachlich verbürgten Argumente zu halten, denn eine Gefühlsentscheidung kann und sollte es nicht sein.
Bereits im Februar des vergangenen Jahres wurde im Abgeordnetenhaus darüber diskutiert, ob und wie die Politik eingreift, um die Böllerei zumindest stufenweise in einigen Quartieren der Stadt zu regulieren, bzw. zu verbieten. Die Morgenpost berichtete darüber Viel weiter ist man dann allerdings nicht gekommen, was angesichts der vielen – im Wortsinn und im übertragenen Sinn – Baustellen nicht verwundert.
In Bezug auf die Umwelt liegen die Argumente für eine Regulierung, bzw. ein Verbot auf der Hand. Das Zeug macht die Stadt nicht schöner, die Luft nicht besser, die Müllberge nicht kleiner, die Bilanzen in den Notaufnahmen nicht erträglicher. Die Stadtreinigung hat auch so genug zu tun und niemand wird ernsthaft behaupten, Berlin sähe am Tag 1 des jeweils neuen Jahres schön aus. Schäden, die durch Böllerei entstehen, müssen geregelt werden, Sachschäden sind nicht immer einfach mit der Versicherung zu klären und betreffen manchmal Häuser und Anlagen, die uns sehr am Herzen liegen.
Bleibt trotzdem die Frage, wie groß der Eingriff in die Privatsphäre ist, wenn Silvesterfeuerwerk künftig in der Innenstadt oder gar in ganz Berlin nur noch in professionelle Hände gelegt würde. Darüber sollte mit nun ausreichender Zeit bis zum nächsten großen Knall, vernünftig debattiert und eine Entscheidung getroffen werden. Bereits 2016 hatte eine Umfrage ergeben, dass sich eine Mehrheit der Deutschen für ein Verbot von Feuerwerk in Innenstädten ausspricht. Das klingt nach einer Steilvorlage.
Kathrin Gerlof /Wahlkreismitarbeiterin